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Antifa-Roman

52 | Schellenborns Scheißtag

Walter Schellenborn wird am nächsten Morgen von seinem Smartphone geweckt.

Unbekannte Nummer.

Müde nennt er seinen Tarnnamen. „Personalberatung ‚Aktiv und erfolgreich‘, Seitz am Apparat.“

„Chef, ich habe ein Problem“, keucht Karl Markowitz.

Das glaube ich auch, denkt Schellenborn. Dein Problem bist vor allem du selber.

„Was ist los?“

„Ich habe eine Anzeige wegen meiner Tattoos. Sie wissen schon, die SS-Parole, das Hakenkreuz und so weiter.“

Schellenborn rollt die Augen. Was für ein Schwachkopf! denkt er. Sagt aber: „Aha, bist du aus Versehen ins Schwimmbad gegangen oder hast besoffen die Nacht nackt in der Fußgängerzone getanzt, weil die Klopperei mit den Zecken so geil war?“

Der Skinhead schweigt.

„Nee, wegen der Bullenkontrolle auf dem Sportplatz. Na, Sie wissen schon.“

Plötzlich ist der VS-Mann hellwach.

„Wie, eine Polizeikontrolle auf dem Sportplatz? Das verstehe ich nicht.“

„Die Sache ist schiefgelaufen. Das war ein Hinterhalt. Am Ende kamen jedenfalls die Bullen und haben alle Tattoos gesehen.“

Schellenborns runzelt die Stirn. Er versteht kein Wort.

„Ein Hinterhalt? Die kleinen Schülerlein aus der Mittelstufe haben deine zwei Dutzend Männer in einen Hinterhalt gelockt?“

Er macht eine Pause.

„Haben die euch mit MPs erwartet oder wie? Was redest du denn da, Mann?“

„Doch Chef, es war ein Hinterhalt. Und die Schüler waren gar nicht beteiligt. Nur einer hat die Tür aufgemacht.“

Das Gefasel von dem Hasenhirn macht Schellenborn müde. Spitzel sind leider nicht immer die Intelligentesten. Und Markowitz ist ein besonders blödes Exemplar.

„Also, mein lieber Karl. Jetzt mal zum Mitschreiben für mich. Wer hat euch also zusammengeschlagen?“

„Niemand.“

„Was?“

„Niemand hat uns zusammengeschlagen.“

„Aber den Hinterhalt gab es?“

„Ja!“

„Gab es sonst vielleicht noch was in deinem Hinterhalt?“, flötet Schellenborn in sein Handy. „Außer dass ihr nicht zusammengeschlagen wurdet, von einem Schülerlein, das eine Tür geöffnet hat?“

„Was?“

„Mann, sei doch nicht so begriffsstutzig.“ Schellenborn brüllt nun fast ins Handy. „Was ist denn passiert?“

„Wir wurden vergast!“

Karl ist wirklich ein besonderer Idiot.

„Aha, vergast. Und ich spreche gerade mit einem vergasten Toten oder was? Sag mal Herr Treblinka, willst du mich verarschen?“

„Herr Treblinka?“

„Ein KZ, wo Juden vergast wurden!“

„Aber so heiße ich doch gar nicht!“

Aaaaaaaaaaaargh!!! Ganz ruhig Schellenborn, gaaaanz ruhig!!!

„Es wurde also Gas eingesetzt?“

„Ja.“

„Von denen aus dem Hinterhalt?“

„Ja.“

„Und wer war das?“

„Keine Ahnung, wir konnten ja nichts sehen, wegen dem Gas.“

„Und das türöffnende Schülerlein?“

„Das war vorher.“

„Und das hat euch auch vergast?“

„Nein.“

Gaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaanz ruhig!!

„Was?“

„Nur mich.“

„Aha, also eine Einzelvergasung?“

„Was?“

Ich drehe durch.

„Ein Schülerlein hat dich vergast?“

„Ja.“

„Und über 20 Männer besiegt?“

„Nein.“

„Hä?“

Ist der besoffen, der Schwachkopf?

„Hast du heute Morgen schon getrunken?“

„Ja Herr Schellenborn, zwei Tassen Kaffee. Wie immer. Warum?“

Das ist doch nicht wahr … !

„Der Schüler hat dich mit Gas plattgemacht?“

„Ja.“

„Und die anderen? Sind die dann alle in deine Gaswolke gerannt und wollten auch was abhaben? Oder haben sie sich ordentlich angestellt und auf ihre Dosis gewartet?“

„Was?“

Ironie ist nicht so seine Stärke. Bleib simpel und einfach, Schellenborn. Eins plus eins sind zwei.

„Was passierte denn weiter, als das Schülerlein dich vergaste?“

„Da kamen noch ganz viele aus den Büschen. Auch mit Gasflaschen und haben die anderen eingenebelt. Es war furchtbar.“

„Und dann?“

„Wir waren blind. Dann wurden wir gefesselt und ausgezogen. Wir standen im Kreis und wurden von irgendeinem Fotografen fotografiert.“

„Ach, die Weltpresse war auch gleich mit da?!“

„Genau!“

„Aha.“

„Dann ist der verschwunden und es kamen ihre Kollegen von der Polizei und haben auch Fotos gemacht. Von uns und unseren Tattoos.“

„Verdammt. Auch von Maik?“

„Ja.“

„Und die Wade? Von der auch?“

„Nicht das ich wüsste.“

Wenigstens etwas.

„Und nun haben wir alle Anzeigen an der Backe.“

„Was ist mit den 600?“

„Haben die Bullen. Beschlagnahmt.“

„Du hattest das Geld noch in der Tasche? Wir haben uns Stunden vorher gesehen.“

„Ich habe mir nichts dabei gedacht.“

Das glaube ich dir gerne, du Hohlhirn.

„Haben die dich nicht gefragt, wo das her ist?“

„Doch.“

„Und, was hast du gesagt?“

Der Typ nervt mich wirklich richtig.

„Dass ich ein Auto kaufen will.“

„Du hast doch gar keinen Führerschein …“

„Das wissen die doch nicht.“

Der Fettsack ist wirklich strohdoof.

Schellenborn ist sofort klar, dass die tätowierten Nazis nun mächtig Ärger haben. Ihn interessiert, was mit dem Geld passiert ist, das für das Tattoo gedacht war. Nicht wegen des Geldes selbst, sondern wegen seiner Fingerabdrücke auf dem Umschlag.

Hoffentlich suchen die Kollegen nicht danach.

Vor allem aber fragt er sich, wie die Antifas von dem Angriff Wind bekommen haben konnten.

Gut, das konnte auch eine undichte Stelle bei den Nazis sein. Aber wichtiger ist die Frage: Wer war das? Wer ist in der Lage, eine solche Aktion durchzuziehen?

Schellenborn zieht sich langsam an. Während er die Kaffeemaschine einschaltet, kommt sein Kopf nicht zur Ruhe.

Die Schüler können so was nicht. Vollkommen unmöglich. Das riecht nach einer militärischen Kommandoaktion. Aber wer kommt für so was in Frage? Heutzutage? In den 80er Jahren gab es das. Damals, als die militanten Antifas richtig loslegten. Ist ewig her. Aber wer kann so etwas heute noch organisieren? Die Linken sind doch alle zerstritten … Und auch die Antifa-Opas in der Gegend sind schon lange nicht mehr aktiv.

Gedankenverloren läuft Schellenborn zum Briefkasten und fischt den Wiesbadener Kurier heraus. Während er sich in der Küche seinen Kaffee eingießt, fällt sein Blick auf die Überschrift: „Nackte Nazis von Polizei befreit!“ Der Verfassungsschützer wird blass. Die Weltpresse! schießt es ihm durch den Kopf. Neben der Schlagzeile prangt ein Foto mit zwei Dutzend Männern in Unterhosen. Verheulte Gesichter mit aufgerissenen Augen. Ganz vorne steht der fette Markowitz in einer schmutzigen Feinrippunterhose. Trotz Balken über den Augen wirkt er sichtlich desorientiert. Auf seiner Brust ist deutlich ein Reichsadler mit Hakenkreuz zu erkennen.

Solche Idioten! Selbst der letzte Hinterwäldler kann die als Nazis identifizieren. Verdammte Scheiße! Aus der Nummer bekomme ich die nur mit Mühe wieder raus. Wenn überhaupt. So ein Mist. Wo ist der Name des verdammten Fotografen? Dem mache ich die Hölle heiß. Der kennt die Täter. Der muss sie kennen. Der wird mir ihre Namen nennen! So wahr ich in Wirklichkeit Markus Reuter heiße!

Schellenborn sucht nach dem Namen unter dem Bild: Erwin Schmidt. Er greift zum Telefon.

„Telefonzentrale Wiesbadener Kurier. Guten Tag!“

„Herrn Schmidt bitte, hier spricht Schellenborn.“

„Welchen Schmidt?“

„Erwin Schmidt“, antwortet er gereizt.

„Gibt es nicht!“

„Aber der Name steht doch an dem Foto“, sagt Schellenborn mehr verzweifelt als wütend.

„Dieser Name steht unter vielen Fotos. Das deutet darauf hin, dass der Fotograf unbekannt ist und uns das Foto anonym übermittelt wurde. Sind Sie der Urheber?“

Bevor die Frau weiter reden kann, legt Schellenborn auf. Hier kommt er wohl erst einmal nicht weiter.

Er ruft im Polizeipräsidium an. Seine Kontaktleute sind alle in Besprechungen oder aus anderen Gründen nicht zu erreichen. Also auch hier Sackgasse. Schellenborn flucht. Als er auch noch die Kaffeetasse umstößt und sich der braune Fleck über Tischtuch und Teppichboden ausbreitet, ahnt er, dass vor ihm ein echt mieser Tag liegt.

Er greift erneut zum Handy und wählt die Nummer von Alfred Kromme. Sofort geht die Mailbox dran.

„Verdammt!“

Während er den verschütteten Kaffee wegwischt, klingelt sein Handy erneut.

Schon wieder eine unbekannte Nummer.

„Personalberatung ‚Aktiv und erfolgreich‘, Seitz am Apparat.“

„Hier ist Alfred.“

Schellenborn ist erleichtert.

„Wer war das?“, brüllt Schellenborn. Dann fällt ihm ein, dass er mit Alfred lieb und nett umgehen muss. Bei ihm spielt er ja den Vaterersatz.

„Äh, entschuldige, dich meinte ich nicht“, säuselt er. „Wie geht es dir?“

„Es geht. Wissen Sie schon Bescheid?“

„Steht ja groß in der Zeitung. Wer war das denn nun?“

„Fast alle waren dabei“, antwortet Alfred.

„Nein, nicht ihr, die.“

„Die?“

Oh Mann, denkt Schellenborn, noch so ein Depp.

„Die euch in den Hinterhalt gelockt haben.“

„Ach so, äh, keine Ahnung.“

„Ihr müsst doch einen Verdacht haben.“

„Ja klar, das war die Antifa. Die Antifaschisten, unsere Gegner.“ Alfred klingt stolz, weil er diese kluge Antwort gegeben hat.

„Aha, und wer ist das?“

„Keine Ahnung, aber unsere Schul-Antifa war es nicht.“

Super Antwort! denkt Schellenborn. Und die Einwohner Pekings waren es auch nicht.

„Du weißt nicht, wer es war?“

„Nein!“

„Aber ihr müsst doch eine Ahnung haben, eine Idee. Die gefährden die Verfassung. Die sind brandgefährlich! Das ist Selbstjustiz. Das sind potenzielle Mörder. Sieh doch, was sie euch angetan haben, diese linken Penner …“

„Ja, Chef“, sagt Alfred verwirrt. Was ist denn mit dem los? fragt er sich, ich verstehe nur Bahnhof.

Schellenborn ereifert sich noch eine Weile. Alfred hört ihm schweigend zu. Dann sagt er: „Okay, ich kümmere mich mal darum. Ich rufe dich später an, ja?“

„Das geht nicht.“

„Wieso?“

„Mein Handy ist weg.“

Auch das noch.

„Ich besorge dir ein neues. Wir treffen uns später, wie üblich, 15 Uhr. Einverstanden?“

„Alles klar, bis dann.“

Schellenborn ruft einen alten Kumpel bei der Polizei an. Der ist seine letzte Hoffnung.

„Ballmann am Apparat.“

„Hallo Werner, hier ist Walter Schellenborn.“

„Markus, alter Schlapphut, alles klar? Rennst du immer noch Verfassungsfeinden hinterher und spielst mit deinen Tarnnamen?“

„Sehr witzig. Aber ja, tue ich. Und jetzt brauche ich deine Hilfe. Es geht um die Sache mit den Nazis letzte Nacht.“

„Ja, habe ich schon gehört. Ich musste herzlich lachen. Sahen ganz schön belämmert aus, die braunen Großmäuler.“

Werner Ballmann ist Polizist aus Überzeugung. Der 60-Jährige hat sich vom Streifenpolizisten zum Polizeioberkommissar hochgearbeitet. Er ist drahtig, gutmütig und hilfsbereit. An seinen freien Wochenenden geht er zu Eintracht Frankfurt, Familienblock. Seit er wählen darf, macht er sein Kreuz bei der SPD. Aber seit Hartz IV und Gerhard Schröders Neoliberalismus hadert er immer von Neuem mit seiner Wahlentscheidung. Für Nazis hat er kein Verständnis.

„Die Linken haben sie fertiggemacht.“

„Na und? Wurde doch keiner verletzt. Wenn die Nazis das gemacht hätten, könnten wir unsere Zeugen jetzt auf der Intensivstation befragen, und einige wahrscheinlich gar nicht mehr, weil sie im Leichenschauhaus lägen.“

„Diese Antifas sind Kriminelle. Die zwingen dem Staat einen Kleinkrieg auf.“

„Hast du die Waffensammlung gesehen, die die Nazis hinterlassen haben?“

„Die haben Gas eingesetzt.“

Ballmann schweigt. Dann fragt er: „Sag mal Markus, was willst du eigentlich?“

„Ich will die Täter. Freiheitsberaubung, schwere Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung. Bei der Nummer kommt einiges zusammen.“

„Meinst du, wir machen unseren Job nicht?“

„Wieso?“

„Klingt so.“

„Nein, das meine ich nicht. Ich habe eher einen Tipp für dich. Ich kenne ein paar Täter.“

Der Polizist ist verdutzt.

„Hattet ihr die Antifas im Blick?“

„Nein, ich habe einen Tipp bekommen.“

„Von wem?“, will der Polizist wissen.

„Von einem Informanten.“

„Ach ja, das ist ja irre. Von einem Informanten. Ich dachte schon von einer Wahrsagerin …“

„Spinner!“

„Hey hey. Also bei der NSU-Sache haben deine Jungs in der Tat Wahrsager befragt. Keine knallharte Ermittlung, Spurensicherung oder Zeugen – Wahrsager. Leider ist das kein Witz! Ihr seid schon ein seltsamer Haufen …“ Versager, denkt Ballmann, aber spricht es nicht aus.

„Ja, ja, ich kenn‘ die Story.“

„Okay, also, wer ist dein Informant?“

„Ein Nazi.“

„Ein ehrlicher Nazi, vermute ich. Einer, dem es nur um Gerechtigkeit geht. Oder?“

Der ironische Unterton in der Stimme des Polizisten ist unüberhörbar.

„So ähnlich!“

„Markus, ist das dein Ernst?“, fragt Ballmann und macht eine Pause. „Ich erzähle dir mal was. Einige von deinen ehrlichen Nazis waren gestern hier. Wegen Waffenbesitz und der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole haben wir die meisten direkt mitgenommen. Die haben uns hier auch genau erzählt, was los war. Da wollten zwei Dutzend bewaffnete Nazis eine Handvoll antifaschistischer Schüler zusammenschlagen. Doch stattdessen geraten sie in einen Hinterhalt und werden halbnackt der Presse präsentiert. Und einer von denen will nun Gerechtigkeit? Das ist doch absurd.“

„Es ist Unrecht, wenn die Linken das Gesetz selbst in die Hand nehmen! Das ist Selbstjustiz.“

„Dass das Vertrauen in die Behörden bei manchen auf dem Nullpunkt ist, kann man seit dem NSU-Debakel und massenweisen Chatgruppen bei uns mit Nazibildern ja niemandem übel nehmen!“

„Es ist Selbstjustiz, Werner. Du als Polizist weißt, wo das hinführen kann.“

„Okay, ja. Wir ermitteln ja auch. Aber im Moment erst einmal gegen die Nazis: versuchter Totschlag, schwerer Landfriedensbruch usw. Mein Tisch hier liegt voll mit Schlagringen, Totschlägern und Gasknarren. Wir können froh sein, dass die Nazis nicht zum Zug kamen. Das hätte Tote gegeben, das sage ich dir!“

„Und was machen wir jetzt gegen die anderen? Ich meine, die können wir doch nicht ungeschoren lassen!“

„Ja, aber ehrlich gesagt, interessieren mich die Nazis im Moment mehr. Wir haben in Deutschland im Durchschnitt vier Naziübergriffe pro Tag. Vier! Das finde ich wirklich besorgniserregend.“

„Jaja. Sicher. Aber wir könnten Hausdurchsuchungen machen.“

„Ist in Vorbereitung.“

„Ich denke, ihr kennt die Linken nicht.“

„Nicht bei denen, bei den Nazis.“

„Was?“

„War dein ehrlicher Nazi denn dabei?“

„Vermutlich.“

„Dann hat er bestimmt selbst ein Verfahren an der Backe. Ermittelt wird gegen alle 25. Wenn wir die Waffen einzelnen Nazis zuordnen können, stellen wir ihnen die Bude auf den Kopf. Noch sind wir beim Abgleich der Fingerabdrücke.“

Verdammt! denkt Schellenborn. Sie sichten Fingerabdrücke. Jetzt wird es heikel.

„Und verdammt nochmal die Linken? Die kommen davon? Das kann doch nicht sein.“

„Markus, die haben sauber gearbeitet. Keine verwertbaren Spuren. Die Nazis haben gesagt, dass keiner ein Wort gesprochen hat. Die waren sehr professionell – oder taubstumm. Vor Ort ließ sich nichts Besonderes finden. Die Fußspuren sehen alle gleich aus. Die hatten wohl Malerschutzschuhe übergezogen oder sowas. Die Funkzellenabfrage läuft noch. Aber mein Gefühl sagt mir, dass keiner von denen ein Handy dabei hatte.“

„Was für eine Scheiße. Jetzt müssen wir die Ratten laufen lassen.“

„Sag mal, auf welcher Seite stehst du eigentlich?“

„Äh, ich als treuer Staatsdiener natürlich auf der Seite des Rechts. Aber die Linken wollen die Geheimdienste abschaffen!“

Nicht ganz zu Unrecht, denkt Ballmann. Ihr seid auch eine Bande von Betrügern und Falschspielern. Aber auch das denkt er nur.

„Also Markus, was ich anbieten kann, sind Hausbesuche. So was machen wir oft. Manchmal bekommen wir dabei etwas Interessantes raus, oder es schüchtert potenzielle Täter zumindest ein. Machen wir bei Fußballfans, Neonazis, Globalisierungsgegnern und so weiter.“

Walter Schellenborn gibt Werner Ballmann die Namen von Petra und Stefan durch.

„Alles klar. Ich kümmere mich darum.“

Schellenborn legt auf. Das ist ein echter Scheißtag!

Ballmann gibt die Namen von Petra und Stefan im Computer ein. Bei den Geburtsdaten stockt der Polizist.

Er ruft Markus Reuter alias Schellenborn umgehend an.

„Markus, das sind doch zwei Jugendliche!“

„Ich weiß! Die fangen früh an.“

„Und die sollen zwei Dutzend Nazis überwältigt und gefesselt haben, zwei 16- und 17-Jährige?“

„Es ist mir egal, wie alt die Linken sind. Sie waren dabei. Und sind gefährlich“, schreit der Verfassungsschutzmann ins Telefon.

„Ist ja gut, ich werde meinen Job machen. Ich ruf dich vielleicht so in zwei Wochen an.“

„Danke!“

Spinner, denkt Werner Ballmann, als er auflegt. Er schaut eine Weile kopfschüttelnd auf die Namen. Dann wirft er den Zettel in den Müll. Diese Geheimdienstler sind doch alle paranoid.

Als Schellenborn später Alfred trifft, ist seine Laune auf dem Nullpunkt.

„24,80“, beginnt Alfred das Gespräch.

Schellenborn sieht ihn fragend an.

„Das hat die Giga-Portion hier gekostet. Mit Pommes und Krautsalat.“

„Jaja. Egal. Iss, soviel du willst. Aber jetzt komm zur Sache.“

„Das heute Nacht hat uns ganz schön zugesetzt. Das war ein harter Schlag.“

„Und die Polizei habt ihr auch noch am Hals.“

„Hab‘ ich schon vermutet. Können Sie da nichts machen?“

„Ich versuch’s. Aber leicht wird das nicht.“

Alfred nickt. Er nimmt sich ein weiteres Chickenwing.

„Eine Warnung habe ich noch für euch. Wegen der Waffen, die gefunden wurden. Räumt eure Wohnungen auf. Es wird demnächst Hausdurchsuchungen geben. Bereitet euch vor.“

„Danke“, sagt Alfred schmatzend. „Mache ich gleich, wenn ich heimkomme.“

„Du hast das noch nicht gemacht?“

„Nö.“

„Obwohl einige von euch verhaftet wurden?“

Alfred schweigt.

„Oh Mann, wieso kommst du auf sowas nicht selber?“

„Ich war beschäftigt.“

„Mit was?“

„Heute ging es nur ab. Die Aktion heute Nacht hat das totale Chaos verursacht. Niemand hat mehr Geld, alle Papiere sind weg und die Handys auch. Gottseidank haben sie uns die Schlüssel gelassen …“

„Die haben eure Smartphones?“

Alfred nickt.

„Deins auch?“

„Ja, haben die auch geklaut.“

Schellenborn lehnt sich zurück. Ihm wird warm. Auf den Telefonen von Alfred und Markowitz ist seine Nummer.

„Wer hat die geklaut?“

„Die Angreifer, wer denn sonst?“

„Ihr hattet alle eure Handys mit?“

„Klar, warum nicht?“

Alfred saugt am Strohhalm seiner Cola.

„Ihr macht so eine Aktion und habt alle eure Telefone mit?“

„Ja!“

Kurze Pause.

„Und?“

„Schonmal was von digitalen Spuren gehört?“

Alfred schüttelt den Kopf und trinkt noch einen Schluck.

„Markowitz ist übrigens seit heute arbeitslos. Sein Foto im Kurier. Das war seinem Chef zu viel. Die Kollegen haben ihm die Hölle heiß gemacht. Keiner wollte mehr mit ihm zusammenarbeiten.“

„Dann geht er also heute zum Arbeitsamt?“

„Nein, er war nur zehn Monate arbeiten. Er hat keinen Anspruch …“

„Na, dann wird ihn das Sozialsystem wohl auffangen müssen. Viel Spaß beim Anstellen neben den Sozialschmarotzern, gegen die ihr immer wettert.“

Schellenborn legt Alfred ein neues Smartphone und 50 Euro hin und lässt ihn quittieren.

„Wie versprochen“, sagt er und zwinkert Alfred zu. „Ich muss los.“

Damit steht er auf und geht. Alfred freut sich. Den Nachmittag wird er damit verbringen, das Smartphone einzurichten.

Karl Markowitz geht es derweil gar nicht gut. Er ist den Tränen nah. Sein Bild in Unterhose hat seine Welt in Scherben gelegt. Die Nachbarn tuscheln, die Kinder zeigen mit den Fingern auf ihn. Seine Mutter hat den ganzen Vormittag geweint. Schon vier herausgerissene Kurier-Seiten mit seinem Konterfei hat er im Briefkasten gefunden. Auf einer stand: „Hahaha!“

Am späten Nachmittag bricht Frolic mit dem Hund seiner Mitbewohnerin auf, um ihn Gassi zu führen. Der Rottweiler liebt lange Spaziergänge und Frolic läuft gerne. In der Nähe des vereinbarten Gebüschs bückt er sich kurz und steckt die Baumwolltasche ein, die seit gestern Abend auf ihn wartet.

Wieder zuhause zieht er ein paar dünne Latexhandschuhe an und schüttet den Inhalt auf eine Decke auf seinem Schreibtisch. Die Geldbörsen der Nazis purzeln auf die Tischplatte. Als er die erste öffnet und den Ausweis von Karl Markowitz in den Fingern hält, atmet er tief durch.

Wenn die Bullen die bei mir finden, werde ich wegen schweren Raubes angeklagt und habe die Sportplatzsache als Mittäter an der Backe.

Frolic weiß, dass der Verfassungsschutz ihn auf dem Kieker hat. Umgehend macht er sich an die Arbeit. Je schneller er Portemonnaies und Papiere entsorgt, desto sicherer. Auch das enthaltene Geld muss er saubermachen. Also fotografiert er jedes Dokument mit einer billigen Kamera vom Discounter. Er benutzt seinen Scanner nicht, ebenso kein Smartphone, denn die speichern auf Fotos ihre IDs oder die GPS-Daten. Auch was unkontrolliert für Daten versendet wird, weiß niemand. Deshalb hat er ein halbes Dutzend billige Kameras im Haus, die nicht internetfähig sind. Dann klappt er den Laptop auf und schließt eine kleine externe Festplatte an. Der PC war noch nie mit dem Internet verbunden und wird es auch nicht. Es ist Frolics Antifa-Arbeitscomputer. Auch er nutzt Tails als Betriebssystem. Der Punk entschlüsselt mehrere ineinander verschachtelte virtuelle Laufwerke, bevor er die SD-Karte aus dem Fotoapparat in den Schlitz schiebt. Frolic ist extrem vorsichtig. Er hat allerlei Sicherheitsmaßnahmen eingebaut. Sobald er die externe Festplatte abrupt vom Laptop trennt, sind die Laufwerke automatisch wieder verschlüsselt. Jetzt speichert er den Inhalt der SD-Karte in einem Unterverzeichnis und sortiert die Fotos in seine mehrfach verschlüsselte Datenbank. Als er fertig ist, säubert er den Arbeitsspeicher und überschreibt den freien Festplattenspeicher mehrfach. So ist es schwer herausbekommen, was dort einmal gespeichert war.

Anschließend wirft er den kompletten Nazikrempel in den brennenden Holzofen. Aus den geschmolzenen und verbrannten Resten kann niemand mehr Beweise retten. Temperaturen über 250 Grad zerstören DNA, weshalb Frolic auch die Münzen in den Ofen geworfen hat. Später kann er sie aus der Asche sammeln. Das Geld will er behalten. Für die antifaschistische Recherchearbeit. Also zieht er eine Schutzbrille an, holt er eine Flasche Klorix vom Balkon, füllt sie bei weit geöffnetem Fenster in eine Porzellanschale, wirft die Geldscheine einzeln hinein und wischt sie mit einem neuen Tuch ab. Das aggressive Putzmittel enthält Natriumhypochlorit, das DNA ebenfalls zerstört.